Wie Daten bei der Unterbringung von Geflüchteten helfen können

Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 14. März 2023 veröffentlicht.

Im City Science Lab an der Hafencity Universität Hamburg arbeiten wir neben der freien Forschung oft an sehr konkreten digitalen Lösungen, die Städten helfen, Probleme zu bewältigen. Oft stehen dabei Diskussionen um Flächen im Vordergrund, denn freie Flächen sind knapp, sie sind bebaut, sie dürfen nur für einen bestimmten Zweck genutzt werden und sie gehören jemandem. Flächen sind in Deutschland mit erschlagend vielen Kriterien belegt wie Natur- oder Landschaftsschutz, sie sind ausgewiesen als Gewerbe-, Industrie-, Wohn oder Agrarareale oder es gibt Lärmschutzverordnungen oder Abstandsregeln, die eingehalten werden müssen.

Das Geschäft mit den Flächen – ein umkämpftes Gut

Diese unvollständige Aufzählung zeigt, dass der Kampf um Flächen in Städten stark reguliert und deshalb komplex ist. Allerdings möchten viele auf sie zugreifen, ob im Wohnungsbau oder bei der Gewinnung neuer Energie durch die Platzierung von Solar- oder Windkraftanlagen oder bei der Unterbringung von Geflüchteten. Über Flächen verhandeln unterschiedliche Behörden, Naturschutzorganisationen, politische Parteien und auch die Wirtschaft, wenn sich Unternehmen in Städten ansiedeln, aber auch die Zivilgesellschaft, wenn es beispielsweise um Zwischennutzungen durch Künstler:innen oder andere temporäre Initiativen geht.

Mit unseren digitalen, interaktiven Karten und unserer Software verwandeln wir das City Science Lab regelmäßig in eine Werkstatt für Diskussion und Konsensbildung, auch zum Thema Unterbringung von Geflüchteten. Aktuell kommen mehr Geflüchtete denn je nach Deutschland und die Bundesländer müssen Lösungen für deren Unterbringung finden. Der gerade abgehaltene Flüchtlingsgipfel fordert zu Recht mehr Kooperation zwischen den Bundesländern. In Hamburg waren wir schon 2015 während des Syrienkrieges mit der gerechten Verteilung der Unterkünfte beschäftigt, als mehr als 40.000 Geflüchtete innerhalb von vier Monaten in die Stadt kamen. Wir führten das Projekt Finding Places durch, in dem Standorte auf öffentlichen Flächen interdisziplinär und kollaborativ unter Einbeziehung von Geodaten und der kollektiven Intelligenz der Bevölkerung identifiziert wurden. Wir bauten ein interaktives Stadtmodell, auf dem alle öffentlichen Flächen der Stadt gezeigt und mit den notwendigen Geo- und Fachdaten angereichert wurden.

Im gemeinsamen Gang zur Unterbringung von Geflüchteten

Als Basis für eine solche Plattform dienten sogenannte Cityscopes, welche wir mit unseren Kolleg:innen vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelten. Für diese konkrete Projektanforderung – speziell die Größe des Untersuchungsgebietes und die simultane Bereitstellung von drei Maßstabsebenen auf der Basis des Geoinformationssystems – wurde diese Technologie weiterentwickelt. So konnten anhand von drei geografischen Dimensionen – der ganzen Stadt, der Bezirke und der Nachbarschaften – Karten mit Blick auf ihre öffentlichen Flächen gescannt und interaktiv bearbeitet werden.

Alle Bürger_innen der Stadt wurden zu offenen Workshops eingeladen, um öffentliche Flächen vorzuschlagen und zu diskutieren, die sie für eine temporäre Unterkunft für geeignet hielten. Gefragt war die Lokalexpertise der Stadtbewohner:innen. Ist ein Park wirklich frequentiert? Könnte ein Parkplatz möglicherweise umfunktioniert werden? Es ging darum, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten und Kompromisse auszuhandeln, und nicht – wie es bei Bürger:innenbeteiligung sonst oft der Fall ist – sich nur zu beschweren und Verantwortung nach oben zu delegieren. Man kann sich vorstellen wie in dieser Werkstatt diskutiert und manchmal auch gestritten wurde, denn alle haben andere Interessen: Der Kleingartenverein möchte seine Gärten schützen, reiche Stadtteile ihre großen Parkanlagen und eine rechte politische Partei wollte die Grenzen der Stadt ganz schließen und gar keine Geflüchteten mehr hereinlassen. Genau deshalb war es wichtig dieses Projekt durchzuführen, weil im Kontext vieler anderer politischen Maßnahmen ein gemeinsamer Konsens erzielt werden konnte, der am Ende dazu führte, einige Flächen zu identifizieren, die von den meisten akzeptiert wurden. Es ist sinnvoll so eine Werkstatt in einem Lab an einer Universität einzurichten, weil wir neutraler sind als Behörden, die bestimmte Ziele verfolgen und von Parteien regiert werden.

Warum es für sinnvolle Flächennutzung mehr Daten braucht

Inzwischen hat sich die Software weiterentwickelt, weil wir nicht nur Daten über Flächen, sondern auch von Gebäuden, sozialer Infrastruktur (zum Beispiel Schulen, Gesundheit, etc.) oder Verkehr eingebunden haben. Das Projekt müsste heute wohl Finding Locations heißen: Stadtentwickler:innen können mit dieser neuen Software zentral auf Daten zugreifen und müssen diese nicht mehr dezentral abrufen, also umständlich bei den einzelnen Behörden anfragen.

Um die Prozesse zu vereinfachen, haben wir ein Planning Support System entwickelt, dass die Datenabfrage zentralisiert und den Expert:innen somit ermöglicht, vom eigenen Computer aus auf zentralisierte Daten zuzugreifen und sie so zu rekombinieren, dass darauf aufbauende Simulationen möglich sind. Die Software integriert verschiedene Datenströme und macht diese auf einer Webplattform leicht zugänglich, sodass die Daten ständig aktualisiert direkt von ihrem Arbeitsplatz abgerufen werden können.

Finding Places Hamburg diskutierte damals Flächen in Stadtteilen in Bezug zur gesamten Stadt, ein Nachfolgeprojekt könnte nun Flächen, Gebäude und Infrastrukturen in Bezug zum Bundesland oder gar der Bundesländer untereinander diskutieren. Dies wäre wahrscheinlich erst einmal nicht als Bürger:innenbeteiligung, sondern eher als Stakeholderprozess zu organisieren. Denn in der aktuellen Situation hätte es Priorität, dass sich die Expert:innen in den Bundesländern verständigen. Würden sie entsprechende Daten bereitstellen, könnte man weiträumiger und in Szenarien über diese Herausforderung diskutieren, die uns die nächsten Jahre begleiten wird.

Wenn ich eines gelernt habe in den vielen Werkstätten, die wir schon über Flächennutzungen durchgeführt haben, dann ist es dies: Lasst uns vor allem mit unseren vermeintlichen Gegner:innen sprechen, denn die Freund:innen sind ja schon auf unserer Seite. Daten können helfen, die Diskussion weg von Emotionen hin zu einer einigermaßen sachlichen Debatte zu führen.