Was Datenprojekte für informelle Siedlungen bedeuten
Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 12. Dezember 2023 veröffentlicht.
Die Anforderungen an Datenerhebung und -nutzung sind in Namibia ganz andere als im Globalen Norden, schreibt Gesa Ziemer. Sie hat Projekte in fünf Städten unterschiedlicher Größe begleitet. Der Fokus lag dabei auf der Förderung von Klimaresilienz in informellen Siedlungen.
Gerade komme ich von einem sehr inspirierenden Aufenthalt in Namibiazurück. In der Werkstatt des City Science Labs an der Hafencity Universität Hamburg arbeiten wir einerseits lokal und national an Datenprojekten und auch sehr international. Dies bedeutet für uns aber nicht nur, dass wir mit technisch hoch entwickelten Ländern wie beispielsweise den USA, China oder Australien arbeiten, sondern auch mit Ländern im globalen Süden, für die oft spezifische Lösungen entwickelt werden müssen, die sich an die lokalen Rahmenbedingungen anpassen. Mit unserem Sister Lab, UNITAC, dem Innovation Technology Accelerator for Cities, den wir in Kooperation mit den Vereinten Nationen (UN Habitat Nairobi und OICT New York) betreiben, führen wir aktuell Projekte in verschiedenen afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern oder auch der Ukraine durch.
Gerade die afrikanischen Länder erlebe ich (auch aufgrund ihrer jungen Bevölkerungsstruktur) als sehr dynamisch, offen, verbindlich und technisch interessiert. Anders als in den Städten des Globalen Nordens ist die Situation in diesen Städten jedoch sowohl im Hinblick auf die vorhandene Datenlage als auch das Vorhandensein digitaler soziotechnischer Basiseinrichtungenanspruchsvoller. Es gibt schlichtweg weniger Daten, oder es gibt Daten, die jedoch nicht auf Datenplattformen zugänglich gemacht werden. Zudem mangelt es gerade in kleinen Städten oder ländlichen Regionen an ausgebildetem Personal und Ressourcen, um Technologien regelmäßig an den neusten Stand anzupassen und nachhaltig zu betreiben.
Datenprojekte in fünf Orten in Namibia
Das Ziel unseres Projektes, das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert wird, ist es in Kooperation mit den fünf Städten, Rehoboth, Rundu, Opuwo, Helao Nafidi und Windhoek Datenkapazitäten zu vergrößern, Daten zugänglich zu machen, um datenbasierte Entscheidungsfindung zu ermöglichen und dabei das Thema Klimaresilienz in informellen Siedlungen zu fokussieren. Die Use Cases der Städte sind sehr unterschiedlich.
In einer größeren Stadt wie Windhoek, die eine gute Dateninfrastrukturhat, arbeiten wir beispielsweise mit dem Ministry of Urban and Rural Development und der Namibian Statistic Agency daran, mehr Daten über informelle Siedlungen zu erheben und nutzbar zu machen. Mit einer kleinen Ortschaft wie Helao Nafidi verfolgen wir das Ziel, Daten nutzbar zu machen, um immer wieder auftretende Starkregenschäden zu minimieren. Hier arbeiten wir mit Flächen- und Umweltdaten, um Voraussagen zu treffen, damit die Bewohnen rechtzeitig gewarnt werden können. Wir exportieren dabei nicht einfach unsere Smart-City-Technologien, sondern stellen Teams auf, die in Namibia und Hamburg lokalisiert sind, und gemeinsam technisch und sozial sinnvolle Lösungen erarbeiten.
Konferenz über den Einsatz urbaner Technologien in informellen Siedlungen
Da das Projekt auch wissenschaftliche Aspekte vertritt, haben wir gerade in Windhoek eine dreitägige Konferenz über den Einsatz urbaner Technologien vor allem in informellen Siedlungen durchgeführt, an der extrem beeindruckende Datenprojekte aus Ruanda, Kenia, Südafrika und anderen afrikanischen Ländern vorgestellt wurden. Beispielsweise berichtete Code for Africa davon, wie sie in den sogenannten Floating Slums in Nigeria unter schwierigsten Bedingungen Daten erheben und diese nutzbar machen, unter anderem dafür, die Häuser zu nummerieren, damit im Notfall Hilfe kommen kann. Sandile Mbatha, Leiter der Datenabteilung der Metropolregion eThekwini, zu der auch die Stadt Durban gehört, brachte es auf den Punkt: Lasst uns die Situationen in afrikanischen Ländern als Potenzial sehen und als Ort der Transformation und diese nicht immer negativ mit einem Mangeldiskurs belegen.
Dieses Credo wurde bei uns und im Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Auch unser anderer Kooperationspartner, die NGO Slum Dwellers International (SDI), ein weltweiter Zusammenschluss von Personen, die in informellen Siedlungen leben, hat mit Verve betont, dass die Communities es leid seien als „Slums“ benannt und wie „Slums“ behandelt zu werden, anstatt die positiven Energien und die gelungenen Projekte hervorzuheben. Allein die Definition eines „Slums“ kann Ausdruck eines politischen Interesses sein, dieses als solches zu benennen und urbane Räume damit bewusst zu benachteiligen. Es war sehr schön zu erleben, dass theoretische postkoloniale Diskurse, die mir im Westen oft etwas gezwungen vorkommen, zwar wichtig sind, aber dass die konkreten Projekte von viele Gemeinsamkeiten getragen sind, so dass wir in Zukunft hoffentlich gut zusammenarbeiten können.
Die Konferenz, die auch eine Kooperation mit der National University of Science and Technology (Nust) in Windhoek und dem African Center for Cities Cape Town war, führte ihre Veranstaltung dann auch in so einem guten Projekt weiter, dem Havanna Youth Café. Die Forscherin Shilumbe Chivuno-Kuria führte uns in das Projekt ein. Sie arbeitet dort täglich mit Jugendlichen und schreibt selbst eine Doktorarbeit zum Thema Zugänglichkeit technischer Anwendungen für junge Menschen. Die Nust konzipiert zudem gerade einen Master-Studiengang für Stadtentwicklung in informellen Siedlungen, wozu es weltweit noch nicht viele Ausbildungsangebote gibt. Das wäre allerdings dringend notwendig, denn für ungefähr 30 Prozent der Menschheit stellen informelle Siedlungen bereits die alltägliche Realität dar.
Deutsche Kolonialgeschichte erst am Anfang der Aufarbeitung
Namibia ist eines der am dünnsten besiedelten Länder der Welt. Seine Fläche ist doppelt so groß wie die Deutschlands, es leben aber nur 2,5 Millionen Menschen darauf. Entsprechend groß sind die ländlichen Gegenden, die sich auch über ausgedehnte Wüsten erstrecken. Ein Großteil des Landes ist aufgeteilt in Farmen, die überwiegend immer noch ursprünglich deutschstämmigen Familien gehören, denn Namibia wurde von 1884 bis 1915 von Deutschland kolonialisiert. Als sich die lokale Bevölkerung, vor allem die Herero und Nama, 1904 dagegen wehrten, reagierten die deutschen Truppen mit extremer Härte. Sie trieben sie nach der Schlacht am Waterberg in die Wüste, vergifteten Wasserquellen oder ließen sie davor erschießen.
Als ich vor ein paar Wochen mit meinen Kolleginnen auf dem Waterberg stand, zeigte unser Guide, der selber ein Damara war, den Ort des Genozidsund betonte immer wieder, dass er nichts gegen die Deutschen hätte. Der Tourismus Namibias lebt heute überwiegend von Deutschen, die dort gerne reisen, was soll mein Guide also auch anderes sagen. Mein Unwohlsein als Deutsche in diesem Land kann ich nirgends verbergen, auch, weil die Kolonialisierung sich in Straßen und Städtenamen noch so offensichtlich zeigt, und ich muss gestehen, dass ich oft meine zweite Nationalität als Schweizerin nenne, wenn mich jemand fragt, woher ich komme. Auf meine Nachfragen, wie man die Landverteilung zugunsten der lokalen Bevölkerung ändern könnte, wird häufig auf den momentanen Zustand von „Peace over Justice“ verwiesen.
Die Aufarbeitung der deutsche Kolonialgeschichte, unter anderem in Namibia, steht noch ganz am Anfang und Deutschland und Namibia haben noch einen sehr langen Weg in Richtung Gerechtigkeit zu gehen. Ich hoffe, dass Daten dabei helfen können, nicht nur Informalität, sondern auch Themen wie Landbesitz und Klimaveränderung, die in diesem trockenen und heißen Land heute schon massiv sind, sichtbar und politisch verhandelbar zu machen.