Urbanes Ko-Modellieren: Zwischen technischer Möglichkeit und lokaler Realität
Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 13. Juni 2023 veröffentlicht.
Das Gefälle zwischen dem, was technisch möglich wäre und dem, was wirklich realisierbar ist, ist nicht nur in deutschen Kommunen groß, beobachtet Gesa Ziemer. Oft fehlt es an Know-how oder den richtigen Rahmenbedingungen. Das erzeugt ein Spannungsfeld beim ko-kreativen Arbeiten: Zum einen muss vereinfacht werden, um möglichst viele Kommunen mitzunehmen, zum anderen braucht es ambitionierte Vorhaben, um auf hohem Niveau zu experimentieren.
Überall in der Welt werden urbane Technologien getestet, um Bürger:innen das Leben zu vereinfachen oder Städte und Regionen besser zu organisieren und zu vernetzen. Im City Science Lab an der Hafencity Universität in Hamburg arbeiten wir mit unseren Anwendungen jeden Tag an sehr lokalen Themen wie beispielsweise der Verknüpfung neu erhobener Luftqualitätsdaten durch das Projekt Air View (in Kooperation mit Google) mit anderen städtischen Daten, um die Mobilitätswende zu unterstützen.
Gleichzeitig arbeiten wir sehr international. Aktuell nutzt die Stadt Gaborone in Botswana das digitale Hamburger Partizipationssystem (Dipas) und testet, wie es auch dort eingesetzt werden kann, zumal Botswana mit seinen sogenannten Kgotlas (Public Assemblies) eine lange Tradition der Bürger:innenbeteiligung hat. Wenn ich Menschen dort oder Hamburg dabei zuhöre, wie sie über ihre Stadt diskutieren, finde ich den Unterschied nicht groß. Viele ähnliche gute Ideen werden in solchen Workshops vorgetragen, digital eingesammelt, ausgewertet und an entsprechende Behörden zur Unterstützung der Entscheidungsfindung übergeben.
Technische Möglichkeiten werden noch nicht ausgeschöpft
Was mir aber auffällt ist, dass das Gefälle zwischen den technologischen Möglichkeiten, die es im Bereich digitale Stadt inzwischen gibt, und den realen Gegebenheiten, die wir vor allem auch in kleineren Kommunen vorfinden, inzwischen ziemlich groß ist – und dies sowohl international als auch national.
Durch die Finanzierung des Programmes Modellprojekte Smart Cities vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) haben viele deutsche Kommunen seit einigen Jahren die Möglichkeit, ihre digitale Infrastruktur und Services auf- und auszubauen, was sehr zu begrüßen ist. Auch die Koordinierungs- und Transferstelle (KTS) hat ihre Arbeit aufgenommen und trägt zum Wissenstransfer bei, damit die Innovationen geteilt werden und nicht jede Kommune das Rad für sich neu erfindet. In Veranstaltungen kommen jetzt regelmäßig die geförderten Kommunen zusammen und berichten von ihren Erfahrungen und lernen voneinander.
Beim Kongress der Modellprojekte, der im Mai dieses Jahres in Hamburg stattgefunden hat, war auch eine interessierte Gruppe zu Besuch im City Science Lab. Wir haben unsere Anwendungen und die dazugehörigen Projektkonstellationen vorgestellt, alle haben interessiert gelauscht und gute Fragen gestellt. Dabei wurde mir wieder klar, wie viele hilfreiche Projekte wir durchführen könnten, wenn in den Kommunen vor Ort genug Ressourcen wie Daten, gut ausgebildete Mitarbeitende, Zeit und eine ausreichende digitale Infrastruktur vorhanden wären.
Doch das Gefälle zwischen dem, was technisch möglich wäre und dem, was wirklich realisierbar ist, ist in Deutschland wie auch in anderen Ländern aktuell noch sehr hoch. Und das liegt nicht an den Mitarbeitenden in den Kommunen, die als offen und interessiert erlebe. Es liegt eher daran, dass die Geschwindigkeit der Technologieentwicklung hoch ist und dass zu wenig Ressourcen für Weiterbildungen vorhanden sind. Auch ist der Datenbestand in vielen Kommunen noch sehr unstrukturiert und kaum systematisiert. Es bedarf an vielen Orten einiger Kapazitäten, damit Prozesse gut strukturiert und Technologien sinnvoll eingesetzt werden können.
Algorithmen und Menschen modellieren zusammen
In Hamburg wagen wir uns gerade an ein Experiment, das erstaunlich gut funktioniert, obwohl wir vorher dachten, dass es zu abstrakt und zu weit weg von der Arbeitsrealität der Behörden liegen würde. Aktuell entwickeln wir eine urbane Ko-Modellierungsplattform, welche die Blackbox Algorithmus öffnen soll. Algorithmen sind automatisierte Rechenmodelle, aus denen Handlungsanweisungen folgen. Dazu werden bestimmte städtische Gegebenheiten angenommen, gewichtet und in ein Modell überführt, das dann bestimmte Entscheidungen oder Voraussagen trifft. Zum Beispiel könnte man damit nahende Klimaschäden oder Verkehrsstaus voraussagen.
Wir verstehen aber meist nicht, wie diese Berechnungen genau aussehen. Deshalb haben wir gerade den Ko-Modellierungsworkshop („Wie können wir Klimaschutz in Hamburg sozial gerecht gestalten?“) mit Mitarbeitenden von Behörden, Mieterverbänden, Planungsbüros, Aktivist:innen und anderen durchgeführt, denn energetische Sanierung kann Verdrängung zur Folge haben, wenn Mieten steigen oder Sanierungsarbeiten zu teuer werden und dies gilt es zu verhindern.
In diesem Workshop haben wir versucht gemeinsam zu modellieren, indem die Teilnehmenden erst einmal ihre Themen gesetzt haben. Es wurde in den Kategorien Akteur:innen, Ressourcen und Prozesse diskutiert und es fielen Begriffe wie Gebäudebestand, Nachverdichtung, Zugang zu Krediten, soziale Einrichtungen, Solidarität und so weiter. Diese Begriffe wurden dann geclustert und gemeinsam in Interaktion gesetzt. Daraus einstand eine Interaktionsmatrix, die nun wiederum unseren Programmierer:innen für die Konstruktion des Modells dient, das dann berechnen kann, wie der Zusammenhang zwischen Gentrifizierung und energetischer Sanierung zu verstehen wäre.
So sind Kategorien in das Modell eingegangen, die kollektiv gesammelt wurden und nicht nur an einem undefinierten Ort getroffen werden. Als diese Idee im Forschungsteam entstand, war ich mir nicht sicher, ob dieser Einladung jemand nachkommen würde, weil die Aufgabenstellung komplex schien. Das Gegenteil war der Fall: Eine Gruppe von ungefähr zehn motivierten Personen fand die Idee so interessant, dass sie sich auf das, was wir urbanes Ko-Modellieren nennen, eingelassen und produktiv gearbeitet hat.
Gleichzeitig fließt diese Funktion in den urbanen digitalen Zwilling (CUT) ein, der bei uns nicht nur wie sonst oft Simulation und Modellierung von Umweltprozessen beinhaltet, sondern auch soziale Prozesse abbildet. Das ist etwas Besonderes, denn sobald soziale Prozesse einfließen, hört die Vorstellungskraft meist auf, wie diese in digitalen Stadtzwillingen abgebildet werden können. Wir erstellen mit diesem Projekt aber den Prototypen einer ko-kreativen Modellierungsplattform, die verschiedenste (Simulations-)modelle über standardisierte Schnittstellen sammelt und offen zur Verfügung stellt.
Dieses Beispiel zeigt in welcher Spannweite wir arbeiten: Einerseits müssen wir oft unsere Anwendungen stark vereinfachen, was ich als sehr wichtige und lehrreiche Herausforderung für uns erachte, damit auch diejenigen, die weniger Ressourcen haben, davon profitieren können. Andererseits ist es doch auch wichtig, experimentell zu bleiben und genau solche anspruchsvollen Versuche zu starten und damit Ko-Kreation auf einem hohen Niveau zu betreiben. Wichtig ist es in allen Fällen – ob in kleinen oder großen Kommunen in Deutschland oder im globalen Süden –, dass auch wir dafür sorgen, dass die Lücke zwischen dem was technologisch möglich ist und dem, was vor Ort realisierbar ist im Bereich digitale Stadt nicht zu groß wird.