Mut zur urbanen Datenkultur
Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 14. Dezember 2022 veröffentlicht.
Städte sind zu Big-Data-Produzentinnen geworden. Wir verfügen nicht nur über mehr Daten denn je, sondern auch über eine Fülle von Verknüpfungsmöglichkeiten. Die Masse an Daten macht es möglich, dass wir in der Stadtentwicklung heute auf viele unterschiedliche Daten beispielsweise von Flächen, Gebäuden, Umwelt aber auch sozialen oder ökonomischen Daten zugreifen und besser interdisziplinär miteinander arbeiten können.
Daten alleine sind dafür aber noch kein Garant. Was wir brauchen, sind interaktive Werkzeuge wie Datenplattformen oder interaktive Karten oder andere Visualisierungen, welche Datenverknüpfungen und das Bilden von Szenarien für zukünftige Städte ermöglichen. Diese Szenarien können wiederum spielerisch und unter Teilhabe vieler entwickelt werden. Doch diese neue experimentierfreudige urbane Datenkultur ist im Bereich Stadtentwicklung in Deutschland noch nicht stark ausgeprägt. Neue Formen der Zusammenarbeit durch digitale Werkzeuge ist eines der wichtigsten Forschungsthemen und Handlungsfelder im Bereich digitale Stadt. Folgende Fragen sind dabei zentral: Wie können wir Daten in Transparenzportalen zugänglich machen? Welche interaktiven Werkzeuge brauchen wir, um aktiv mitzugestalten? Wie werden diese in der Governance der Stadt, also ihrer Steuerung, eingesetzt?
Stadtlabore als Ausweg aus der Datenmisere?
Um neue Formen digitaler Zusammenarbeit einzuüben, gründen viele Städte City Labs als Orte, an denen agil, nah an den Bedürfnissen der Nutzer:innen, oft in Realexperimenten, gemeinsam Zukunftsszenarien der Stadt entwickelt werden. Das City Science Lab an der Hafencity Universität in Hamburg wurde schon 2015 gegründet als der damalige Bürgermeister innerhalb von vier Monaten rund 40.000 Geflüchteten Wohnmöglichkeiten in der Stadt bieten musste. Im Projekt Finding Places wurde die Stadtbevölkerung dazu aufgerufen, auf interaktiven Karten konkrete Vorschläge für mögliche Unterkünfte zu machen. Heute dient das City Science Lab als Ort, an dem auf Basis digitalisierter Daten Dialoge zwischen Verwaltung, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft hergestellt werden. Im Multistakeholder-Labor bearbeiten wir konkrete Anforderungen, die aus der Stadtverwaltung aber auch aus der Wirtschaft oder Zivilgesellschaft kommen, und entwickeln Kollaborations-, Partizipations- und Planungswerkzeuge: Bürger:innen können zum Beispiel neue Wohnareale kommentieren, neue Mobilität wird in Pionierprojekten durchgeführt, modelliert und evaluiert, Datenplattformen kombinieren Sozial- und Flächendaten, damit die soziale Infrastruktur einer Stadt entwickelt werden kann, in virtuellen Realitäten können Parkareale mit der Nachbarschaft gestaltet werden. Mit Google wurde gerade das Projekt Air View zur Analyse von Luftqualität gestartet, denn es ist zukünftig zentral, auch mit großen Datenunternehmen einen guten Arbeitsmodus zu finden.
Die Basis unserer Projekte in Hamburg ist die urbane Datenplattform, die wir zusammen mit dem Landesbetrieb für Geoinformation und Vermessung kontinuierlich weiter-entwickeln. Diese Datenplattform stellt urbane Daten in guter Qualität für Vernetzung zwischen Mensch und Maschine zur Verfügung und sorgt dafür, dass die Daten interoperabel sind – die Basis für behörden- und sektorübergreifendes Arbeiten.
Das City Science Lab ist bewusst an einer Universität angesiedelt, da diese als relativ neutraler Ort verstanden wird. Wir forschen an Werkzeugen, die informierte Entscheidungsfindung ermöglichen und damit auch Demokratie befördern. Es ist kein geschlossenes Forschungslabor, sondern ein offener Ort mit Arbeits- und Präsentationsräumen, so dass beispielsweise Mitarbeitende der Verwaltung mit Forschenden gemeinsam arbeiten können. Die Rolle der Forschung ist zentral: Sie ermöglicht es, im Feld der digitalen Stadt einen Ort des Experimentierens, des Ausprobierens, des Zulassens von Unsicherheiten zu sichern. Denn auszuprobieren, gibt es noch genug. Innovation heißt bei uns nicht nur, neue Technologien anzubieten. Viel öfter bedeutet es, die Vielfalt von Datenanwendungen zu zeigen. Das Denken mit Daten, das Kuratieren von Daten, das Schaffen von Datenbewusstsein und -transparenz und das Herstellen von funktionierenden Interfaces zwischen Mensch und Maschine muss geübt werden. Unser Anspruch dabei ist hoch. Häufig realisieren wir aber, dass die Beteiligten überfordert von den Datenmengen sind und dass kreatives Datendenken noch warten muss. Auch werden die urbanen Datenplattformen noch zu wenig von den Bürger:innen genutzt. Aus meiner Sicht liegt das daran, dass zu wenig interessante Datengeschichten erzählt werden und die Nutzeroberflächen nicht ansprechend sind. Es sollte mehr Expertise aus den Bereichen des Design und auch der Kunst einbezogen werden. Nicht allen Menschen erschließt sich eine Karte so rasch wie uns Expert:innen.
Die digitale Stadt ist international
In unserem Lab werden auch grundlagenorientierte Forschungen durchgeführt, die in Doktorarbeiten, Konferenzen und Publikationen veröffentlicht werden. Eine langfristig angelegte Kooperation mit dem MIT Media Lab in Cambridge (USA) ermöglicht nicht nur einen regen Technologieaustausch, sondern auch ein internationales wissenschaftliches Netzwerk mit ähnlich organisierten Labs, beispielsweise in Taiwan, Mexico oder Toronto. Auch die Vereinten Nationen sind enger Kooperationspartner, mit denen aktuell ein Technologie- und Innovationsakzelerator für Städte (UNITAC) aufgebaut wird. Mehr als 20 Prozent der Menschheit lebt heute in informellen Siedlungen, mehr als 50 Prozent der Megastädte von mehr als zehn Millionen Einwohnenden liegen im globalen Süden. In diesen
Städten ist die Dateninfrastruktur oft ungenügend. Aktuell forschen wir deshalb beispielsweise an Algorithmen, die Satellitenbilder so verarbeiten, dass Dächer in informellen Siedlungen einer afrikanischen Stadt gezählt werden. Das ermöglicht es der dortigen Stadtverwaltung überhaupt erst, einen Überblick über das rasante Wachstum zu erhalten. Jeden Tag üben wir den Spagat zwischen ganz lokalen und globalen Perspektiven. Das Versprechen urbaner Technologie ist nicht nur die Vernetzung innerhalb von Städten, sondern auch von Städten und Nationen untereinander.
In sogenannten Digital Urban Twins sollen Städte digital als Zwilling nachgebaut werden, um Szenarien für die Städte der Zukunft zu modellieren. Dass Städte zu komplex sind, um dieses Verfahren einfach von der industriellen Produktion in den urbanen Kontext zu übertragen, versteht sich von selbst. Trotzdem entwickeln wir mit den Städten München und Leipzig den Connected Urban Twin, einem vom Bund geförderten Eisbrecher-Projekt, das für Deutschland Standards setzen soll. Wir bilden darin nicht die ganze Stadt ab, sondern versuchen, Technologien untereinander kompatibel zu machen. Das für Hamburg entwickelte digitale Partizipationssystem (DIPAS) wird beispielsweise im Rahmen des Projekts nutzbar für andere Städte gemacht.
Diese Übertragungen sind jedoch herausfordernd. Sie benötigen passende IT- Systeme und Standards, aber vor allem auch Menschen, welche die jeweiligen ortsspezifischen Herausforderungen formulieren können. Technische Tools müssen kulturell eingebettet sein, entscheidend sind immer noch die Menschen vor Ort, die in politischen Strukturen agieren und in der Lage sein müssen, diese Innovationen auch zu nutzen. Der Erfolg aller urbanen Technologien, die noch kommen werden, wird sich nicht nur an ihrer technischen Qualität messen, sondern daran, wie diese im komplexen Organismus Stadt verwendet werden. Das City Science Lab versucht einen Beitrag zu leisten, diese neuen Formen der Zusammenarbeit zu erforschen und zu unterstützen.