(Digitales) Wissen transferieren

Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 12. September 2023 veröffentlicht.

Digitalisierung funktioniert nicht, wenn Wissen abgeschottet wird, findet Gesa Ziemer. Damit ein digitaler Wissenstransfer gelingt, braucht es keine perfekte Lösung, sondern vor allem Kollaboration, Transferstrukturen und mehr Vertrauen in Start-ups und Multistakeholder-Forschung.

Im Bereich Digitale Stadt ist nun endlich auch in Deutschland viel Dynamik zu vernehmen. Kommunen, Universitäten, Fachhochschulen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft generieren Ideen, Forschung, Projekte und Produkte, von denen wir uns wünschen, dass diese übertragbar sind, damit das Rad nicht immer wieder neu erfunden wird. Die Förderlinie Modellprojekte Smart Cities (MPSC) des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen und auch die Aufnahme der Transferstelle dieser Projekte tragen dazu bei, dass nun im größeren Maßstab und mit langfristiger Perspektive Wissen für möglichst viele verfügbar gemacht werden kann. 

Wissenstransfer zwischen den Städten untereinander, aber auch zwischen Universitäten und Kommunen soll gefördert werden, die Aktivitäten im Start-up-Bereich sind bereits deutlich angestiegen. Diese reichen von Beratungsunternehmen über Anbieter von Lösungen für digitale Zwillinge bis hin zu Firmen, die Softwares zum Verknüpfen urbaner Daten bereitstellen oder im Bereich Planung mit virtueller oder augmentierter Realität aktiv sind.

Wissenstransfer durch Start-ups 

Aus dem City Science Lab an der Hafen City Universität heraus haben wir nun auch unser erstes Start-up, comaps, lanciert, was ebenso eine Form des Wissenstransfers darstellt. Das Start-up comaps visualisiert, analysiert und simuliert urbane Daten und hilft Planenden dabei, datenbasierte,transparente Entscheidungen zu treffen. Es hat sich organisch aus unserer Arbeitsweise heraus ergeben, denn wir sprechen in der Forschung schon lange von einem Multistakeholder-Ansatz, der besagt, dass Wissen schon im Forschungsprozess an alle Beteiligten übertragen wird. 

Unsere Partner:innen sind nicht Beforschte, sondern gestalten die Forschung kollaborativ mit, weshalb wir ziemlich genau wissen, was draußen in der realen städtischen Welt für Anforderungen bestehen. Wenn angewandte Forschung so angewandt wird, dass sie keine Forschung mehr ist, dann ist es gut zu gründen, um Softwarelösungen auch als Service anbieten zu können. Diese Individualisierung und Zuschneiden der Tools auf spezifische Stakeholder steht einer Übertragbarkeit zunächst einmal gegenüber. Die große Herausforderung für unsere Teams ist es daher, die Tools und Prozesse so zu gestalten, dass sie transferierbar sind. Wir arbeiten deshalb oft modular, das heißt, dass nicht ganze Softwarelösungen und Prozesse übertragen werden, sondern nur Bausteine, die aus einem Baukastensystemherausgenommen und dann sinnvoll skaliert werden können, was viel flexibler ist. 

Unser Digitaler Zwilling ist beispielsweise kein einheitlicher Zwilling für die ganze Stadt, sondern dieser besteht aus verschiedenen Fachzwillingen, die zwar technisch kompatibel sind, aber ganz unterschiedliche Themen adressieren und auch andere Daten zur Grundlage haben können. Ein Fachzwilling beispielsweise zum Thema Wohnungsbau kann einfacher übertragen werden als ein ganzes, komplexes Ökosystem Stadt. Oder wir führen Reallabore durch, eine sehr beliebte und inzwischen häufig angewendete Methode, in der Partizipation heterogener Akteure zentral ist. Mit solchen Methoden lernen alle gleichermaßen in Echtzeit, und das Wissen muss nicht im Anschluss von A nach B kommuniziert werden. 

Wissenstransfer durch Zusammenarbeit

Ich stelle immer wieder fest, dass der Transfer von Wissen durch Kollaboration mit unterschiedlichen Partner:innen wie bei uns in Hamburg an vielen Orten (noch) nicht so üblich ist. Wenn ich verschiedene Städte besuche, auf Konferenzen oder im Ausland unterwegs bin, treffe ich viele engagierte Menschen, die aber oft in ihren eigenen Blasen arbeiten und sehr viele Entwicklungen parallel verlaufen, weshalb wir nicht ausreichend untereinander informiert sind. 

Dies hat mehrere Gründe: Der wichtigste ist aus meiner Sicht, dass dem Teilen von Wissen oft nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt wird, weil viele meinen, dass Wettbewerb (auch in der Forschung) mit einer Abschottung von Wissen einhergeht. Dies funktioniert im Bereich Digitalisierung allerdings nicht, hier werden wir nur gut, wenn wir Daten teilen. Der zweite Grund ist bedingt durch mangelnde Strukturen. Dieser betrifft vor allem den Transfer von Wissen aus den Universitäten in die Gesellschaft, aber auch Städte sollte sich mehr auf Wissensplattformen informieren. 

Den deutschen Universitäten wird oft vorgeworfen, dass sie wenig innovativ seien. Diese Auffassung teile ich nur bedingt. Wenn man Forschungslabs besucht, dann sieht man viele experimentelle und innovative Projekte, die sorgfältig von engagierten Forschenden durchdacht sind oder spezifische Themen adressieren. Allerdings liegt ein Großteil des Wissens brach, weil viele Universitäten immer noch keine ausreichenden Transferstrukturen haben. Am ehesten finden wir diese an technischen Universitäten, aber an sogenannten Volluniversitäten, die ein breites Fächerspektrum ausbilden, gibt es diese oft nur unzureichend. 

Ich denke, dass nicht nur aus technischen Fächern, sondern auch aus sozial- und geisteswissenschaftlichen mehr Gründungen hervorgehen könnten, gerade im Bereich Nachhaltigkeit, der offensichtlich interdisziplinär ist und beispielsweise Aspekte von Kommunikation, Psychologie oder Medienwissen enthält. Die Studierenden in diesen Fächern bekommen jedoch wenig Input zu diesem Thema, sodass sie prozentual leider wenig gründen.

Wissenstransfer durch gemeinsames Lernen 

Wissen transferieren heißt für mich nicht fertiges Wissen verfügbar machen, es bedeutet viel eher mit einer gemeinsamen Haltung an etwas herangehen und von anderen lernen zu wollen. Einer meiner Lieblingsphilosophen, John Dewey, hat in den 1930er Jahren das „Inquiry-Paradigma“ entwickelt, das er unter der Ausgangsannahme entfaltet, dass alles menschliche Handeln, und zwar zu allen Zeiten und an allen Orten, mit Unsicherheit umgehen muss.

Diese tief empfundene Unsicherheit in eine einigermaßen schützende Sicherheit zu verwandeln, verlangt eine nicht nachlassende individuelle und gesamtgesellschaftliche Aktivität, die sich stets ins Offene hinauswagt und auf eine unbekannte Zukunft richtet. Nach Dewey transferieren wir also kein fertiges Wissen, viel eher müssen wir uns bewusst sein, dass unser Wissen nur so sicher sein kann, wie es in dieser ungewissen Welt nur sein kann. Also unsicher.

In all unseren Transferformaten – seien es Reallabore, Multistakeholder-Forschung oder Start-ups – operieren wir mit Unsicherheiten, die zum Experimentieren und Erforschen dazugehören und die auch im Wissenstransfer nicht verloren gehen dürfen. Selbst im Konzipieren einer Firma, für die wir den Elevator Pitch immer bereit haben müssen, müssen wir uns darüber klar sein, dass Wissen nie endgültig, sondern immer fluid ist. Wissenstransfer funktioniert dann gut, wenn wir wirklich voneinander lernen wollen und nicht erwarten, dass uns jemand die perfekte Lösung vorlegt.