Data Storytelling: Klimapolitik braucht Geschichte
Der folgende Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung vom Tagesspiegel Background und wurde dort am 22. November 2022 veröffentlicht.
Wir Menschen haben offensichtlich die existenzielle Bedrohung durch die uns bevorstehende Erderwärmung noch nicht verstanden. Vielleicht wissen wir rational, was diese bedeutet, denn die Wissenschaft zeigt uns schon lange Statistiken und Prognosen. Drastische Klimafolgen durch Hitze, Starkregen, Sturzfluten, Überschwemmungen, Dürre und Waldbrand finden zudem nicht mehr nur auf anderen Kontinenten statt, sondern auch vor unserer Haustür. Dennoch fühlen wir scheinbar emotional immer noch nicht, was eine Steigerung von nur wenigen Grad beispielsweise für unsere Biodiversität, das Sinken von riesigen Städten (zum Beispiel die Megacity Jakarta mit circa 10 Millionen Einwohnenden) oder die Migrationsbewegungen von Millionen von Klimaflüchtlingen für uns alle bedeuten wird. Interessant daran sind nicht die Fakten, sondern die Tatsache, dass es uns Menschen gelingt, diese seit Jahrzehnten kollektiv zu verdrängen, obwohl sie bekannt sind.
Die Wissenschaft hat bereits Ende des 19. Jahrhunderts berechnet, was passiert, wenn wir CO2 in die Luft abgeben (Svante Arrhenius, Nobelpreis Chemie 1903), ebenso ist seit dieser Zeit bekannt, dass nur Sonne unseren Energiebedarf langfristig und nachhaltig decken kann. Leider sind wir diesen Ratschlägen nicht gefolgt, haben fossile Brennstoffe entdeckt, diese mit negativen Folgen abgebaut und eine starke Industrie um diesen Fehler herum entwickelt. Alle wussten es und alle haben jahrzehntelang fleißig mitgemacht. Auch die Klimakonferez in Scharm el-Scheich hat aktuell wieder gezeigt, dass wir die Erderwärmung nicht stoppen werden. Zu stark sind immer noch kurzfristige Wirtschaftsinteressen, zu wenig kompetent sind die Führungseliten, um nachhaltige Transformation denken und umsetzen zu können. Das City Science Lab in Hamburg arbeitet im Bereich Stadtentwicklung an urbanen Datenanalysen, Modellierungen und immer stärker auch am Thema Data Storytelling. Letzteres, weil wir immer wieder merken, dass wir zwar viele urbane Daten zur Verfügung haben, diese aber nicht verstehbar in Erzählungen verpacken. Auch in Bezug auf das Thema Stadtklima fragen wir uns, wie können wir aufrüttelnde Datengeschichten erzählen und mit wem können wir diese zu welchem Zweck teilen. Können wir also dabei helfen, durch Datengewinnung, -analyse, - modellierung und -visualisierung ein besseres Verständnis der Klimakrise zu erzeugen? Und dieses nicht nur rational, sondern auch emotional?
Datenkunst: City Climate meets Creative Coding (CCmCC)
In einem neuen Projekt in Kooperation mit der Bundeskulturstiftung haben wir Künstler:innen eingeladen, um mit uns und unseren meist kartenbasierten Anwendungen künstlerisch zu arbeiten. Mit den Datenanalysen, mit denen wir in Stadtentwicklung und Wissenschaft arbeiten, können wir zwar Entwicklungslinien zeigen und Prognosen errechnen, aber es entstehen nicht immer Ideen für urbane Zukünfte oder alternative Lebensentwürfe. Das Potenzial unserer Technologien wird über die konkreten Anwendungsfälle hinaus oft nicht ausgeschöpft.
Dabei geht es nicht nur um Visualisierung oder Vermittlung von Daten, sondern in einem bewusst breit gefassten Verständnis um die Frage: Kann die Perspektive der Kunst einen Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung leisten? Das ZKM in Karlsruhe fasst die Kraft der Datenkunst anlässlich einer Ausstellung treffend zusammen: „Data will help us to see the world as it is, but will it help us to see how the world could be?“
Es mangelt uns an Imagination, die wir hoffen mit diesem Projekt zu verstärken. Beispielhaft stehen für diese Bandbreite Arbeiten von Carolyn Kirschner, Paolo Cirio, Rimini Protokoll (Welt-Klimakonferenz) oder Leva Jakuša. Im CCmCC-Projekt arbeiten diese Künstler:innen gemeinsam mit Klimawissenschafler:innen an Projekten, welche die Zusammenhänge von Stadt, Klima und Daten anders erfahrbar machen wie beispielsweise eine Gruppe, die eine diplomatische Vertretung für Bäume in der städtischen Planung entwickelt, um deren Rolle im urbanen Gefüge sicht- und hörbar zu machen.
Klimadebatten in der Stadtentwicklung
Heute diskutieren wir in der Stadtentwicklung Themen wie sehr heiße Hitzeinseln, die aufgrund von Baumaterialien wie Stahl, Glas, Beton und einer viel zu hohen Bodenversiegelung entstehen und die man unangenehm spürt, wenn man im Sommer in bestimmten Gegenden der Stadt mit dem Fahrrad an Ampeln anhält. Wir bemängeln zu wenig Grün auf den Dächern, den Fassaden oder in Form von Parks und Bepflanzungen. Wir fordern sogenannte Schwammstädte, die das Regenwasser speichern oder weniger Autoverkehr und dafür mehr Fahrrad- und Fußgängerinfratruktur. Die Bauindustrie, die weiterhin auf den Neubau und nicht auf den Erhalt von Gebäuden konditioniert ist, produziert durch den Einsatz von extrem klimaschädlichem Beton immer noch viel zu wenige nachhaltige Baumaterialien. Kreislaufwirtschaft ist hier eines der Themen der Stunde, aber auch das Recyceln von Baumaterialien steckt noch in den Kinderschuhen. Digitale Materialkataster können hier helfen, solche Kreisläufe zu organisieren. Auch geht es darum Umweltdaten schlau mit Daten der Stadtentwicklung zu verknüpfen. Beispielsweise führen wir im Projekt „Air View“ mit Google Hamburg Luftdaten mit den Mobilitätsdaten der Hochbahn zusammen, um die Routen der Elektrobusse zu verbessern. Die Air-View-Daten werden als hyperlokale dynamische Daten durch ein fahrendes Auto erhoben und auch mit den Daten des auszubauenden Veloroutennetz verknüpft, um diese nicht nur baulich, sondern auch in Bezug auf die Luftqualität zu verbessern.
„Grüne“ Energieproduktion: Bürger:innen einbeziehen
Nachhaltige Energieproduktion ist einer der zentralen Punkte. Städte müssen „grünen“ Strom und Wärme produzieren, was heißt, dass sie von Gas und Öl umstellen müssen auf Sonne, Wind, Wärmepumpen, Fernwärme, grünen Wasserstoff, Elektroautos und so weiter. Auch in der Stadt Hamburg muss über Standorte von Windkraftanlagen diskutiert werden. Wir stellen dazu Karten für potenzielle Flächen zur Verfügung, die wir mit Kriterien versehen. Auch können Windströme, Schattenwurf oder Geräuschbelastung berechnet werden, um lokale Informationen zum Standort zu erhalten. Wichtig ist es dabei, ein Denken in Szenarien zu ermöglichen und Standorte in Expert:innen-Workshops – vor allem auch mit den Gegner:innen der Windanlagen – zu diskutieren.
Energieproduktion ist ein sehr technisches Thema. Für die meisten Menschen kommt der Strom aus der Steckdose und die Wärme aus der Heizung. Wie die Energie produziert wird und warum wir jetzt viel mehr zahlen müssen, ist vielen gar nicht klar. Die Debatte stiftet soziale Unruhe und hat Potenzial für populistische einfache Antworten (zum Beispiel Atomkraft und Kohlekraft länger laufen lassen). Aus diesem Grund ist Bürger:inneninformation oder -mitbestimmung heute auch Bestandteil der meisten Klimäpläne von Städten. Wer mit Sensoren am Rucksack morgens auf dem Weg zur Arbeit „seine“ Luftdaten selber misst und entsprechend seine Fahrradroute plant, sollte auf jeden Fall auch die Möglichkeit haben, seine Daten mit der urbanen Datenplattform der Stadt zu teilen. Der Klimaforscher Mojib Latif sagte in einem Vortrag, den ich neulich von ihm hörte: „Mit Physik kann man nicht verhandeln und auch keine Kompromisse schließen.“ In diesem Sinne hoffen wir, dass wir die wissenschaftlichen Fakten mit unseren Data Stories besser erzählen, damit sie mehr Menschen auch emotional erreichen.